GESCHICHTE
Der 24. Juli 1699 – die Gründung der Flüchtlingssiedlung in Neu-Isenburg
An diesem Tag leisteten 30 hugenottische Siedler auf der gräflichen Kanzlei im Isenburger Schloss in Offenbach dem Grafen Johann Philipp von Isenburg folgenden Huldigungseid:
„Alle stadtgestalterischen Versuche der Kommunalpolitik und deren regierenden Bürgermeister, den Marktplatz – und damit auch dem Alten Ort – seine Identität zurück zu geben, sind trotz der Initiativen in den 1970er bis 1990er Jahre, gescheitert. Nun ergibt sich eine neue und wahrscheinlich letzte Gelegenheit, den Wiederaufbau des Alten Rathauses zu initiieren.
Wir, als Nachkommen der hugenottischen Gründerfamilien, sehen uns in der Pflicht den Quartiersentwicklungsprozess mit zu begleiten und zu prägen – ganz im Sinne des Grundrisses des Alten Ortes und dem Wissen um die Geschichte des Quartiers und seiner hugenottischen Gründerfamilien. Inzwischen hat sich unser Trägerverein Hugenottenrathaus Neu-Isenburg gegründet. Er hat seine Arbeit aufgenommen, um ein Projektenwicklungskonzept Alter Ort inklusive Bauplan zum Wiederaufbau des Alten Rathauses mit Nutzungskonzept zu entwickeln, mit der Unterstützung von Quartiersentwicklungsexperten.“
Die Hugenotten
Die Hugenotten waren protestantische Flüchtlinge aus Frankreich, deren Glaubensausübung durch den katholischen Klerus und König Ludwig XIV stark unterdrückt wurden. Als 1685 die Religionsfreiheit von König Ludwig aufgehoben wurde, verließen fluchtartig 250.000 Hugenotten ihr Land, um in den protestantisch dominierten Gebieten in Europa und Übersee Zuflucht zu finden. Fast 50.000 Hugenotten kamen nach Deutschland: Etwa 20.000 davon nach Brandenburg-Preußen. Rund 4.000 Hugenotten übersiedelten nach Baden, Franken, Hessen-Kassel und Württemberg. Der hessische Landgraf Karl warb leistungswillige Fachkräfte sowie handwerklich spezialisierte hugenottische Glaubensflüchtlinge an und versprach ihnen besondere Privilegien. Weitere Hugenotten zogen 1699 in das Rhein-Main-Gebiet.
Graf Johann Philipp zu Ysenburg
Der im Offenbacher Schloss residierende Graf (1655-1718), war ein weitsichtiger Landesherr. Obwohl in Folge des Dreißigjährigen Krieges seine Grafschaft Offenbach verarmt, verwüstet und entvölkert war, erkannte er das wirtschaftliche Potential, dass in der Nachbarschaft zur Messe- und Handelsstadt Frankfurt am Main lag. Während in Frankfurt die Handwerksgilden den Zuzug von fremden Arbeitern und die Gründung neuer Unternehmen verhinderten, warb Graf Johann Philipp aktiv Immigranten an, um seine Grafschaft wirtschaftlich wieder aufbauen zu können. Vor allem die Hugenotten verfügten über ein fortschrittliches Wissen im Manufakturwesen und waren deshalb für ihn von Interesse. Doch widrige Ansiedlungsbedingungen in Offenbach führten dazu, dass viele der hugenottischen Neuankömmlinge weiterzogen.
Andere wollten zwar Offenbach wieder verlassen, aber in der Nähe bleiben, weil ihnen die Region mit dem Messe- und Handelszentrum Frankfurt und dem Main als wichtigem Transportweg für handwerkliche Produkte auf Dauer günstige Erwerbs- und Lebensperspektiven versprach. Graf Johann Philipp ließ trotz des sich abzeichnenden wirtschaftlichen Dilemmas die Flüchtlinge nicht im Stich. Er offerierte einer Gruppe von Bauern und Kleinhandwerkern, die nicht in Offenbach bleiben konnten oder wollten, Siedlungsland in seinem Territorium nördlich des Dorfes Sprendlingen. Das Gelände war eine früher als Weideland gerodete, nun aber mehr oder weniger brachliegende Lichtung – eine Wacholderwiese mit lichtem Baumbestand (Gründungsort von Neu-Isenburg). Der Siedlungsplatz lag am Hainer Weg, der aus Frankfurt nach Süden zur Burg Hain führte und an dieser Stelle etwa dem heutigen Verlauf der Frankfurter Straße entsprach. Südöstlich des Siedlungsplatzes erstreckten sich entlang des Luderbaches die Bellingswiesen, die Teil eines größeren Verbundes von Feuchtwiesen auf nassen Auenböden waren.
Die Siedlung und die Siedler
Sie hatten zuvor meist schon einige Jahre in anderen deutschen Siedlungen gelebt, waren erfahren in Angelegenheiten der Selbstverwaltung und sozial engagiert. Die Neuankömmlinge stellten daher eine Bereicherung für die hugenottische Ursprungssiedlung dar. Man findet ihre Namen (wie Arnoul, Pons und Gaydoul) im 18. Jahrhundert häufig unter den Honoratioren des Dorfes Neu-Isenburg. Im Laufe der Zeit entstand durch Zuzug und Eheschließungen eine französische Gemeinschaft aus Gemeindemitgliedern höchst unterschiedler Herkunft.