„Zukunft braucht Herkunft“

ZERSTÖRUNGEN

Neu-Isenburgs Schreckensnacht

Zerstörung Alter Ort und Marktplatz

Zerstörung Frankfurter Straße

Der 20. Dezember des Jahres 1943, ein diesiger Dezembertag neigte sich dem Ende zu. Die elektrischen Lampen der Straßenbeleuchtung spendeten ein gedämpftes Licht. Aus Fabriken und Kontoren eilten Berufstätige nach Hause. Viele Ladengeschäfte waren noch geöffnet. In den Wohnungen begannen zeitbedingt schwache Vorbereitungen für das bevorstehende Weihnachtsfest. Noch spürte kaum jemand die Größe der drohenden Gefahr. Aber eine gewisse Unruhe und da Gefühl, dass etwas geschehen wird, hat wohl jeden Bürger ergriffen, nachdem der Rundfunksender den Anflug von Kampfflugzeugen meldete.

Es ist inzwischen 7 Uhr geworden. Plötzlich Motorengeräusche! Und schon umkreisen Leuchtsignale unsere Stadt. Überstürzt werden die Schutzräume aufgesucht, von denen man nicht weiß, ob sie Schutz bieten oder zum Grab werden. Gnadenlos fallen Spreng- und Brandbomben auf friedliche Wohnstätten. Schlag auf Schlag erschüttert die Luft. Der Einschlag schwerer Minen lässt die Erde erbeben und da Krachen der einstürzenden Gebäude dringt bis in die Kellerräume. Unheimlich wirkt der heulende Ton der ununterbrochen niedersausenden schweren und schwersten Bomben.

Während oben krachende Fontänen die Wände zerbrechen, Fenster und Türen zersplittern, in Phosphorglut alles schmilzt, was lieb und teuer gewesen ist, zittern Tausende von Menschen in den meist nur schwachen Schutz bietenden Kellerräumen, um ihr so bedrohtes Leben. Es ist eine nervenzerstörende halbe Stunde. Allmählich klingen die Detonationen ab. Schon treibt es die ersten Beherzten aus den Schutzträumen ins Freie. Eine Wolke feinen Staubs und beizender Rauchliegt über der brennenden Stadt. Aschenregen sinkt zur trümmer- und scherbenbesähten Erde. Nur mühsam kann man sich über die Trümmer hinweg einen Weg bahnen. Nur mit Schutzbrillen lässt sich die Katastrophenstätte durchschreiten.

Ein Gang durch die trümmerbesäten, von brennenden Häusern und zerklüfteten Ruinen flankierten Straßen, zeigt den Umfang der Vernichtung. Zerstört wurden alle Säle, die evangelische Kirche, fast alle Schulen, die meisten Fabriken und zahlreiche Wohnbezirke. Der Alte Ort, die eigentliche Hugenottensiedlung, liegt zum größten Teil in Schutt und Asche.

Fast die Hälfte der Gebäude der Stadt sind entweder zerstört oder beschädigt, kaum ein Haus ohne Schäden. An vielen Stellen sind die Bewohner in ihren Häusern von den Trümmermassen verschüttet. Viel können geborgen werden, fast 50 Tode sind zu beklagen, viele sind gesundheitlich hart angeschlagen. Der dämmernde Morgen zeigt allmählich das ganze Grauen. Die entlaubten Baumkronen vom verwüsteten Wald zeigen die Ergebnisse einer unverständlichen Tat. Neu-Isenburgs Schreckensnacht ist vorüber. Die Hugenottenstadt hat ihre Schönheit verloren.

Herbert Drouin, echter Hugenotte, schilderte die Zerstörung wie folgt:

„Im Alten Ort wohnte unsere Tante Käthe Drouin sowie Gustav und Susanne Sprankel, geborene Drouin. Mit Ach und Krach konnten sie sich aus dem massiven Felsenkeller in dem Haus befreien, da die schwere Haustür durch den Luftdruck der Bomben auf die Falltür zum Keller geschleudert worden war und diese blockierte. Außerdem hatten Phosphorbomben das Fachwerkhaus in Brand gesetzt. Kaum hatten sie sich aus dem Keller befreit, rannte Tante Käthe die brennende stiege hoch zu rettete in letzter Sekunde die Familienbibel. Wir fanden unsere Tante Käthe nach dem Angriff verzweifelt auf dem Marktplatz stehen; da Haus und ihre berufliche Existenz waren zerstört.“

WIEDERAUFBAU

Marktplatz als Parkplatz

Nach dem 2. Weltkrieg bekam die junge demokratische Gemeinde Neu-Isenburg mit Alfred Bauer und Ludwig Arnoul zwar gleich zwei Bürgermeister in Folge, mit hugenottischen Wurzeln. Beide mussten sich zunächst darum kümmern, Häuser und die Infrastruktur wiederherzustellen. Durch die Bombardierung des historischen Ortskerns, waren bis auf etwa 30 Häuser alle zerstört. Doch zum Wiederaufbau fehlte es an Allem. Es gab kein Beton, kein Holz für den Dachstuhl, für Decken und Fenster. Die Menschen behalfen sich damit, aus den Trümmern noch Brauchbares heraus zu suchen; so wurden neue Häuser mit altem Material wiederaufgebaut. Es war aber kein Wiederaufbau des historischen Stadtkerns. Die meisten Gebäude im Alten Ort sind Neubaumaßnahmen ab dem 1950er Jahren.
 

Mit dem Wirtschaftswunder ab den 1950er Jahren und der Zunahme des motorisierten Individualverkehrs, wurde in Neu-Isenburg begonnen die Hugenottenstadt autogerecht umzugestalten. Für den Alten Ort war das eine unlösbare Aufgabe, zumal der historische Stadtkern mit seinen engen Gassen nie für einen Autoverkehr angelegt wurde, sondern für Pferde, Wagen und Kutschen. Und die Bewohner waren dort zu Fuß unterwegs. Doch das Automobil zog mit all seinen Folgeerscheinungen auch in den Alten Ort ein und veränderte das historische Quartier grundlegend. Eine große Anzahl von Nebengebäuden als Garagenanbauten entstand und große Teile der privaten und öffentlichen Flächen wurden als PKW-Abstellflächen genutzt.

Ende der 1970er Jahre merkten die Stadtplaner, dass hier ein Wirrwarr von Häusern, Nebengebäuden und Garagen und Abstellplätzen entstanden sind, deren Gesamteindruck nichts mehr mit dem Alten Ort von früher zu tun hatte. Daraufhin wurde 1980 von der Stadtverodnetenversammlung beschlossenen: „Der Alte Ort soll in seiner jetzigen Gestalt erhalten bleiben. Die historisch geometrischen Straßenräume sollen in ihrer Form nicht verändert werden. Straßenbelag, Lampen und Bäume sollen so gewählt werden, dass sie der Entstehungszeit und der historischen Bedeutung entsprechen.“

Eine Erhaltungssatzung, eine Gestaltungssatzung und ein Förderprogramm für die Gebäudesanierung wurden von der Stadt Neu-Isenburg erstellt. Der umgestaltete Alte Ort wurde am 7. August 1983 offiziell von Bürgermeister Dr. Paul Büchel (CDU) übergeben. Das Kulturamt hatte außerdem ein Straßenfest und weitere Aktivitäten organisiert.